Fünfundvierzig

Text und Musik: Bernd Sangmeister

Freitags früh, halb acht
vor so unglaublich langer Zeit
ein kühler Morgen, der Frühlingshimmel klar
Da packt er seine Siebensachen
schnürt sie hinten auf sein Rad
für ne Sache, die bestimmt nicht seine war

Niemals in dieser gottverdammten Zeit
war er nur für nen Augenblick bereit
sie im Stich zu lassen, seine Leute
Deswegen fühlt sich’s heute an
wie ein Verräter zu sein…

Noch einmal streicht er seinen Kindern
sachte übern Kopf und sagt
“Bin bald wieder da”
Ein paar Kilometer später
kurz vorm Kreisel Königstein
läuft ihm ein alter Freund über den Weg

So lang schon gab’s nichts mehr zu sagen
außer Phrasen auf belanglose Fragen
früher Freunde, die sich was bedeuten
Doch ein bißchen fühlt sich’s heute an
wie ein Verräter zu sein…

Niemals kannst Du Dein Herz verraten
Du kannst in jede Richtung gehn
doch der Kompass bleibt stehn

Fritz war in Uniform und seine Augen leer
schwere Schritte, wie ein furchtbar alter Mann
Grußlos sagt er “Karl, unsere Leitung ist getürmt”
“Mach’s gut Fritz, ich türme auch”

Niemals kannst Du Dein Herz verraten
Du kannst in jede Richtung gehn
doch der Kompass bleibt stehn

Als ich Kind war, hat mich mein Großvater Karl oft auf seinen Spaziergängen mitgenommen. Sein guter Freund Fritz war manchmal mit dabei. Später hat mir meine Mutter die Geschichte dieser Freundschaft erzählt. Sie waren gute Freunde und hatten viele Gemeinsamkeiten, auch über Politik haben sie sich viel unterhalten. Dann ging Fritz eines Tages nach Frankfurt in die Festhalle, um sich mal eine Rede von diesem Herrn anzuhören, der damals in den Dreißigern so viele Menschen
begeistert hat. Er war auch begeistert und die Freundschaft von Karl und Fritz schlief ein – das Thema wurde zu sensibel und sie schafften es nicht, die Gräben zu überqueren.

Als Karl kurz vor Kriegsende noch einberufen wurde, kam es zu der Begegnung am Königsteiner Kreisel. Immer, wenn meine Mutter mir die Geschichte erzählt hat, kamen ihr vor Rührung die Tränen – spätestens dann, wenn sie berichtet hat, wie sie seine Stimme gehört hat, als er mit seinem Fahrrad wieder zuhause ankam.

Lasst uns aufpassen, dass wir heute keine Freundschaften mehr opfern, weil uns die Themen zu sensibel geworden sind. Es steht zu viel auf dem Spiel.

Ich widme dieses Lied meiner Mutter, deren großes Herz leider nicht mehr schlägt. Sie fehlt sehr.